Weitere Informationen

Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:1991-2-a
Formatangabe: Essay
Link: Volltext
Verfasst von: Jelinek, Elfriede info
In: EMMA
Jahr: 1991
Heft: 2
ISSN: 0721-9741
Sprache: Nicht einzuordnen
Beschreibung:
Jelinek über Bachmann

In diesen Zeiten, da zusammenwächst, was zusammengehört und jetzt auch noch alles (aus Memmingen und Umgebung) uns gehört, sollte man wieder beginnen, vom Kampf zu reden. Vor den flimmernden Tabernakeln der TV-Bildschirme, aus denen die Furien der Brüderlichkeit und die Dämonen der Nachbarschaftsliebe quellen und alles abtransportieren, was nicht dazugehören darf, sollte man beginnen, wieder vom Krieg zu sprechen. "Es gibt nicht Krieg und Frieden, es gibt nur den Krieg", hat die Bachmann gesagt.

Ich halte also den ewigen wie den neuen Harmonisierungsautoren und Beschwichtigungsvorturnern die Rißautorin Ingeborg Bachmann entgegen, aber keineswegs wie eine heilige Monstranz. Ihre vollendeten Gedichte fanden schon früh den Beifall der Kritiker, die sich wohlig gruselnd einrichteten in den Schreien der Dichterin. ("Mein Teil, es soll verloren gehen", "und ich verzweifle noch vor Verzweiflung", "Frühling wird nicht mehr werden", "Ich will nichts mehr für mich. Ich will zugrunde gehen.") Denn die Schreie der Lyrik klingen gut nach einem gepflegten Essen. Außerdem kann man den Ton ja leiser drehen. Doch die große Prosa der Bachmann, , ,Todesarten", unvollendet geblieben. entfachte eine feuilletonistische Hetzjagd, auf der die "Macher" (ein Wort aus der universaldeutschen Sprache, das die Bachmann hätte zusammenzucken lassen), des deutschen Kulturbetriebs einander schon vom Start weg rempelten und boxten, um nur als erste ins Ziel zu kommen. Inzwischen hat man sich in Biographien der Dichter gemütlich niedergelassen, Eintritt frei, um sich nicht in ihren Werken niederlassen zu müssen, die ein härteres Lager sind. Die eine verbrennende Frau im Synthetiknachthemd (dieser schreckliche Tod der Bachmann), in sicherem Abstand vom warmen Ofen konsumierbar, ist - leider für allzu viele Feministinnen - gleich allen Frauen. Denn das Leid dieser einen Frau ist das Leid aller Frauen. Ist doch auch die Frau gleich allen anderen Frauen. Der allen Frauen gemeinsame spezielle Unterleib macht aus allen Frauen eben die eine allen anderen gleiche Frau; das gibt Frieden und wärmende Gemeinsamkeit. Die in ihrem Bett brennende Dichterin (und mit ihr all die brennenden Frauen mittelalterlicher Städte, die ihrer weiblichen Bevölkerung mittels Feuers ledig geworden) ist alle Frauen und gleichzeitig keine Frau, weil die Frau nichts ist. Aber nicht jede Frau ist eine Dichterin, und vor weiblicher Einheitsseligkeit ist zu warnen. Hier wird kaum von einer Biographie die Rede sein, eine Biographie ist ein zu weiches Bett für die Werke der Bachmann, und ein solches Bett steht uns nicht zu. Ingeborg Bachmann ist die erste Frau der Nachkriegsliteratur des deutschsprachigen Raumes, die mit radikal poetischen Mitteln das Weiterwirken des Krieges, der Folter, der Vernichtung in der Gesellschaft, in den Beziehungen zwischen Männern und Frauen beschrieben hat. Die Rolle der Frau als biologisch minderwertiges Sein (und nichts sonst), als "Paria" (Elisabeth Lenk) ist, in ihrer ewigen Unterwerfung, genau die richtige Mischung für die faschistische Ideologie. Die Frau ist reine Natur, dem Blut und dem Boden verwandt, Ruheort für den Mann, der zu den Haltegriffen seiner ewigen Waffen eilt. "Der Faschismus ist das erste in der Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau..." (I. Bachmann) Im Faschismus ist die Frau, wagt sie es, über ihre Rolle als Gebärerin und Pflegerin hinauszutreten, Seuche, Feind im Inneren, "Fäulnis auf Raten" (Celine). Sie wird zur allgemeinen Ver-derberin, zum Feind von außen. Wie die Juden. Im Entwurf zur Vorrede für den (unvollendeten) zweiten Teil des Romanzyklus "Todesarten", in "Der Fall Franza" schreibt die Bachmann: "Todesarten, unter die fallen auch die Verbrechen. Das ist ein Buch über ein Verbrechen. Es ist mir... oft durch den Kopf gegangen, wohin das Virus Verbrechen gegangen ist-es kann doch nicht vor zwanzig Jahren plötzlich aus unserer Welt verschwunden sein, bloß weil hier Mord' nicht mehr ausgezeichnet, verlangt, mit Orden bedacht und unterstützt wird. Die Massaker sind zwar vorbei, die Mörder noch unter uns, oft beschworen und manchmal festgestellt... Ja, ich behaupte und werde nur versuchen, einen ersten Beweis zu erbringen, daß noch heute sehr viele Menschen nicht sterben, sondern ermordet werden... Das Gemetzel findet innerhalb des Erlaubten und der Sitten statt, innerhalb einer Gesellschaft, deren schwache Nerven vor den Bestialitäten erzittern." Gegen die resoluten Ärme-laufkrempler des Positiven ist eine solche Literatur geschrieben. Ihre Vernichteten sind immer Frauen. Diese ,,Todesarten" werden von Frauen erlitten, Unperso-nen, die keine Stimme ha- oen, aenen aerrascmsmus, Konsequent, sogar ihre staatsbürgerlichen Rechte absprach, waren sie nicht verheiratet. (Bachmann: "Die Ehe ist eine unmögliche Institution. Sie ist unmöglich für eine Frau, die arbeitet und die denkt und selber etwas will.") Den Selbsthaß, die Selbstverachtung, die daraus resultieren, hat die Bachmann beschrieben. Denn die Liebe ist die Fortführung des Krieges UM mit anderen Mitteln. Auf diesem Schlachtfeld erfolgt eine oft blutige, manchmal unblutige Vernichtung des Weiblichen, das nie Subjekt werden darf, immer Objekt bleiben muß, Gegenstand von gesellschaftlich nicht anerkannten Arbeitsverträgen, genannt Ehe.

Franza Jordan, Frau eines Kriminellen mit Krawatte (kein Zuhälter! Vielmehr "ein großer Seelenhirte", Psychiatrieprofessor in Wien), wird von diesem Ehemann wie ein Insekt lebendig auf eine Nadel gespießt und seziert. Ihr Körper, ihre Gefühle, ihre Arbeitskraft werden ihr in einem Akt der gleichsam ganzkörperlichen Lobotomie Zug um Zug entrissen, bis die leere Außenhaut übrigbleibt, sozusagen ein weiblicher, ein entgeschlechtlicher, unblutig der gesellschaftlichen Kaderverwertung zugeführter Körper. Sein wird, durch diesen perfiden Ausschluß aus der Sphäre der ablaufenden gesellschaftlichen Prozesse, zu Nichtsein. Franza ist, ,von niedriger Rasse. Oder müßte es nicht Klasse heißen. Man kann nur die wirklich bestehlen, die magisch leben, und für mich hat alles Bedeutung." Oder: "Wie konnte sie ihm bloß klarmachen, daß sie ausgemerzt werden wollte? Ja, ausgemerzt, das war es." Oder: "Mein Körper ist ganz beleidigt, an jeder Stelle beleidigt." Oder: , ,Ich bin eine Papua." In einem vor einiger Zeit erschienenen Fotoband ist das Bild der Bachmann ordentlich gereinigt worden. Kaum einmal ein Mann, keiner dieser "Ungeheuer mit Namen Hans! Mit diesem Namen, den ich nie vergessen kann." (Undine geht) aus ihrem Leben taucht in diesem Buch auf. (Und Undine muß untertauchen!) Der Herausgeber nennt es - sicher mit den ehrenhaftesten Absichten - Diskretion, doch damit ist diese Frau, die ihr ganzes Werk darauf verwendet hat, das Absterben der weiblichen Identität in der Beziehung zum Mann akribisch zu notieren, posthum wieder zur Jungfrau gemacht worden, zum entsexualisierten, enterotisierten Sein. Die Traumwäscherei ("ohne sorge sei ohne sorge") hat wieder einmal funktioniert, die Schleuder rotiert. Der Faschismus muß die sexuelle Autonomie der Frau negieren, und dieses Ideal der entsinnlichten Frau bringt die Frau schließlich dazu, ihre Sexualität selbst zu verneinen. Da es die Frau als Subjekt auch in der Liebe nicht geben darf, muß sie ihrer eigenen Auslöschung zustimmen, in einer Art Todestrieb, dessen wahre Auslöser die Bachmann immer benannt hat. Sie hat di Verursacher jener immerwährenden Versa gungsakte beschrieben, durch die die Frai gezwungen wird, sich schließlich selbst zi verneinen. "Malina": Die beiden Männer Ivar und Malina brauchen einander (zwei Platzhirsche, jeder in seinem Revier) nicht einmal wahrzunehmen, während sie die Frau zwischen sich zerquetschen, und Malina tabuisiert die erotische Liebesbeziehung der Ich-Erzählerin mitlvan. Die Frau, die spricht, sprechen will, kann dieses Sprechen als Subjekt in diesem Zwischen-Raum, der ihr gelassen wird, nicht realisieren. Sie spricht als eine Abwesende. "Malina" ist die Geschichte von der Abwesenheit weiblichen Sprechens in der Welt.

Aber auch in ihrer Sinnlichkeit, ihrer Sexualität kann sich die Frau nicht realisieren, denn sie muß, will sie begehren, sich zu einem Zu-Begehrenden machen, einem Passivum. Sie kann ihre Lust nur in der eigenen Auslöschung und Verleugnung genießen. So muß sie in der Wand verschwinden. In einem Raum des Weiblichen? In einem Bereich des weiblichen Existierens, in dem es nur mehr sie gibt? Wo sie endlich sprechen darf, ungestört? Doch diesen Raum gibt es nicht. "Es war Mord", lautet der letzte Satz. Das Tier wird in der Wand erdrückt. Alles ist jetzt außer ihr, sie ist außer sich, und es gehört ihr nichts.

Folgerichtig muß das Sein, das nichts ist, das nicht Ich sagen kann und darf, dieses zum Tode verurteilte weibliche Sein, diese, .ewige Quelle von Unordnung" (Elisabeth Lenk) in "Malina", dem einzigen fertiggestellten Teil des Todesarten-Zyklus, in einem Riß verschwinden. Das Nichts muß tatsächlich zu Nichts gemacht werden. Nichts zu Nichts, wie Asche zu Asche. Malina (könnte man das nicht auch für einen weiblichen Vornamen halten, wenn man den Text nicht kennt?), der strenge Vater, das gesellschaftliche Über-Ich und gleichzeitig die männliche Komponente der Ich-Erzählerin, das männliche Ich, das alleine sie sprechen machen kann, besorgt die nahtlose Einpassung dieses weiblichen Ichs in die männlich geprägte Ordnungswelt, indem er sie vollständig verdrängt und danach ihren Platz einnimmt. Vorher muß er noch jede ihrer Spuren sorgfältig entfernen, damit nichts mehr an sie erinnert. Malina bleibt in dieser wohlgefügten, aufgeräumten Welt übrig. , ,Er lebt, weil er die Beschäftigung mit dem Kriegswesen zu seinem Beruf gemacht hat". (Ria Endres) Malina arbeitet im österreichischen Heeresmuseum, Staatsbeamter der (Gute-)Klasse A. Dieses gewaltsame Hineinpressen der Frau in die männlich-ordentliche Sozialisation wird von der Bachmann als Verbrechen dargestellt und als solches beim Namen genannt. Die weibliche Hauptfigur im, ,Fall Franza", fährt nach ihrer Ehekatastrophe mit dem Professor Jordan, dem "Fossil", das die Auslöschung ihrer Person mit großem Fachwissen und gründlicher Methodik durchgeführt hat, zusammen mit ihrem Bruder, einem Geologen, nach Ägypten:, ,Ihr Denken riß ab, und dann schlug sie, schlug mit ganzer Kraft, ihren Kopf gegen die Wand in Wien und die Steinquader in Gizeh und sagte laut, und da war ihre andere Stimme: "Nein. Nein." Franza stirbt an einem Blutgerinnsel im Gehirn, doch da ist sie schon längst nicht mehr am Leben.

Diese entsetzlichen Trennungen. Die Männer können das, was sie nicht lieben können, nicht am Leben lassen, und das, was sie lieben, auch nur kurz. Ingeborg Bachmann weiß, daß Männer das, was sie Liebe nennen, bestenfalls als etwas von außen Kommendes, vielleicht sogar Angenehmes empfinden, möglicherweise als ihre Art Versöhnung mit der Welt, als kurzzeitig gelungene Normalisierung nach Zeiten von Vereinzelung, Vereinsamung, die der Mann als Mitglied der normenbildenden Kaste ertragen kann, die Frau aber nicht. In der Kunst ist die Liebe wenigstens mitteilbar. Aber zwischen Ich und dem Geliebten gibt es keine Kommunikation. Wo sie ist, kann er nie sein, und umgekehrt. "Für sie ist es etwas Ungeheures, wenn das Telephon läutet, für ihn ist das einfach ein Telephonanruf." (aus einem Interview)

Und: , ,Wenn das Geständnis abgelegt war, war ich verurteilt zu lieben; wenn ich eines Tages freikam aus der Liebe, mußte ich zurück ins Wasser gehen, in dieses Element, in dem niemand sich ein Nest baut, sich ein Dach aufzieht über Balken, sich bedeckt mit einer Plane. Nirgendwo sein, nirgendwo bleiben." (aus: Undine geht) Die Frau liebt so außerordentlich, daß dieser Liebe nichts entsprechen kann. Was für den Mann Episode ist, ist für sie der, .Transformator, der die Welt verändert, die Welt schön macht" (aus einem Interview). Bei Kafka leiden die Männer vielleicht mehr als die Frauen oder haben weniger Wider- Standskraft. Aber die Frauen leiden immer ohne Schuld und zwar nicht so, daß sie etwa "nicht dafür können", sondern im eigentlichsten Sinn, der allerdings wieder in das "nicht dafür können" mündet, (aus: Brief an Milena) Bei der Bachmann leiden die Männer manchmal, aber die Frauen können nicht anders als leiden. Nach diesen Rissen, die sich in den Leben der Bachmannschen Frauen ausbreiten (jener "Riß im Zentrum" der Virginia Woolf), nachdem ihnen ihr Geschlecht "herausgerissen" wurde (Der Fall Franza), nachdem man ihr Leben "ausgeschlachtet" hat (der Jungdichter Toni Marek in Requiem für Fanny Goldmann: "Er hatte sie ausgeweidet, hatte aus ihr Blutwurst und Braten und alles gemacht, er hatte sie geschlachtet, sie war geschlachtet auf 386 Seiten in einem Buch"... Ähnliches soll auch der Person Ingeborg Bachmann schon passiert sein), gibt es nur mehr das Nichts, das Schwarze Loch. Die Frau ist das Andere, der Mann ist die Norm. Er hat seinen Standort, und er funktioniert, Ideologien produzierend. Die Frau hat keinen Ort. Mit dem Blick des sprachlosen Ausländers, des Bewohners eines fremden Planeten, des Kindes, das noch nicht eingegliedert ist, blickt die Frau von außen in die Wirklichkeit hinein, zu der sie nicht gehört. Auf diese Weise ist sie aber dazu verurteilt, die Wahrheit zu sprechen und nicht den schönen Schein., ,Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar", sagt Ingeborg Bachmann.

Der Ausgangsort der Dichterin ist Kärnten, jenes österreichische Bundesland, das wie ein Katapult auch schon andere Dichter und Denker von sich geschleudert hat. Es muß auch von Ortlosigkeit die Rede sein. Von Sprachlosigkeit. Kärnten verweigert seinen slowenischen Bürgern immer noch die ihnen zustehenden Rechte, die ihnen zustehende Sprache und damit ihr Sein. Die Bachmann imaginiert slowenische Aufschriften auf Grabsteinen. Im Tod dürfen sie wieder, im Leben dürfen sie nicht sprechen. Das Wort "Heimatlosigkeit" ist nicht erlaubt, denn das Wort Heimat ist schon besetzt, es wird am liebsten von denen (wie auf einer universelllen Weinkost) im Mund herumgewälzt, die - gewiß rein "daitsche" Kärntner -denalles Bestehende verewigenden unsichtbaren Gamsbarthut wie einen Heiligenschein um den Kopf schweben haben, während sie ihre Bach-mann-Literaturwettbewerbe veranstalten. Ingeborg Bachmann hat den Einmarsch von Hitlers Truppen als die größte Katastrophe, als das "Entsetzliche" schlechthin in Klagenfurt erlebt, als einen "zu frühen Schmerz", wie sie ihn "in dieser Stärke später überhaupt nicht mehr hatte.'' Sie hat diese größte nicht nur Menschen-, sondern Kulturvernichtungsmaschinerie und ihr brutales "Brüllen, Singen, Marschieren" als Aufkommen erster Todesangst erfahren. Was die Dichterin aus dieser zerstörten Kultur, aus der daraus resultierenden "Unkultur" zu retten versucht hat, ist ihre Zunge. Eine der wenigen geretteten österreichischen Zungen, die auf den verbohrten Provinzialismus von "Musikantenstadln" mit schöner Weitläufigkeit geantwortet haben, darin etwa einer Djuna Barnes ähnlich. Als Bewohnerin eines Grenzlandes, mit der benachbarten italienischen und der slowenischen Sprache (aus der sie zum Teil selbst herkam), schrieb sie, eine der wenigen, schon in den fünfziger Jahren eine Art kosmopolitischer Literatur. Karl Kraus hat als das Beste am österreichischen Erbe dessen slawische und jüdische Komponenten geradezu verzweifelt (und schon resignierend) beschworen, und zwar gegen das Deutsche., ,Dichter wie Grillparzer und Hofmannsthal, Rilke und Robert Musil hätten nie Deutsche sein können. Die Österreicher haben an so vielen Kulturen partizipiert und ein anderes Weltgefühl entwickelt als die Deutschen. Ihre sublime Serenität erklärt sich daraus..." (I. Bachmann in einem Interview.) Auf den Grabsteinen der Bachmannschen Toten steht nicht Ruhe sanft, sondern VJEZUSU KRISTUSU JE ZIVLJENJE IN VSTAJENJE. Die Bachmann hat gewußt, daß sie hier nicht bleiben konnte. Hier nicht, aber auch nirgendwo sonst, obwohl sie in ihrem römischen Exil wohl ganz glücklich gewesen ist. Nicht in ihrer eigenen Sprache, deren Zerstörung schon längst beschlossen war, beginnend bei denen, die "mal" sagen statt , ,einmal", was sie wahrscheinlich, ,im Taunus" gelernt haben, dem "Inbegriff des Hunnenlandes" (Requiem für Fanny Goldmann); ein Neudeutsch, das als Universalschlüssel alle Türen öffnet, auf die es heutzutage ankommt, nur die eine eben nicht, aber wer will denn dort noch hinein, in diese Kapuzinergruft.

Nicht in der Liebe, in der immer wieder die Frau gemordet wird wie das Gefühl vom Verstand, und die Liebesgeschichten werden Bücher "über die Hölle". Nicht in der beliebten kleinen vorgefertigten Naßzelle namens,,Familie", denn der Vater ist der allerschlimmste Mörder, der die Tochter auf hunderterlei Arten vergewaltigt und umbringt (wie in den entsetzlichen Traumkapiteln in Malina), und die Mutter ist seine schweigende, ja abwesende Komplizin, die weibliche Macht ist gebrochen. Nicht in ihrem Land, in dem längst jene das Sagen haben, die in ihren Köpfen nicht darüber hinauskommen, worüber sie im Leben nicht hinauskommen, im Denken das Irrationale über den klaren Ausdruck Triumphe feiert und die herrschende Klasse sich seit der Nachkriegszeit zu führenden Kreisen in Salonsteirern und Salondirndln verharmlost hat.

Nicht einmal ihrer unversehrten Integrität als Person kann die Ich-Erzählerin in der "Autobiographie" Malina sicher sein. Im Verlauf der Erzählung wird Malina, der männliche Partner, zum Kannibalen, der die Identität der Frau schrittweise auffrißt sich immer mehr in den Vordergrund spielt, bis die Frau in der Wand verschwunden ist und der Mann ihren Platz eingenommen hat. Die gewiß künstliche Konstruktion, alles getrennt zu halten, funktioniert nicht mehr. Malina drängt immer weiter in den weiblichen Raum vor" (Ria Endres). Dieser Todeskampf hinterläßt nicht einmal Spuren. Und da ist auch noch die manchmal rührende Suche der Lehrerstochter Ingeborg Bachmann nach einem Ort der Gesellschaft, an dem sie sich niederlassen könnte. Die sogenannte gute Wiener Gesellschaft hat in ihr eine Protokollantin gefunden, ist noch einmal, nach Schnitzler, Hofmannsthal, Musil in die Literatur eingetreten, und natürlich ist auch diese "Gesellschaft der allergrößte Mord- Schauplatz", (aus Malina) Je besser man die Spielregeln beherrscht - und die Damen wissen hier genau, um wieviel Uhr man auf keinen Fall ums Gerstner gehen kann und an welchen Tagen auf keinen Fall ins Theater in der Josephstadt -Je mehr sie also wissen, desto weniger gehören sie dazu. Denn der winzige Anstoß eines Gefühls genügt schon, diese Frauen aus ihrer Umlaufbahn zu drängen, in die sie nie wieder hineinfinden.

Sicher haben manche der Bachmann befohlen, "glücklich" zu sein, wie lvan, der unveränderliche, Extrawurst essende Geliebte in Malina es seiner Freundin vorschreibt, die sich buchstäblich zerreißen kann und ihm doch nie näherrückt, , ,und wie Ivan sind die meisten Menschen" (aus einem Interview). Ingeborg Bachmann hat diesem Befehl nie gehorchen können.

Auf ihrem Grabstein in Klagenfurt-Annabichl stehen ihr Name und ihre Daten, aber es steht dort nicht:, ,Unbekannte von unbekannten Tätern ermordet." Schließlich war ja auch weder sie noch waren die Täter unbekannt.ELFRIEDE JELINEK

Dies ist ein 1984 geschriebener, für EMMA von Jelinek jetzt aktualisierter Text. Die Urfassung erschien in "Kein objektives Urteil, nur ein lebendiges" bei Piper.
Gesamten Bestand von FrauenMediaTurm anzeigen

Kontext

EMMA (1991)2
wird geladen...

Auch verfügbar in anderen Einrichtungen

Standort

Frauenmediaturm – Feministisches Archiv und Bibliothek

Bayenturm / Rheinauhafen
50678 Köln
Telefon: +49 (0)221 931 88 10
Öffnungszeiten
Mo-Fr. 10-17 Uhr, nach Voranmeldung. Die Anmeldung kann telefonisch, per Mail oder über das Kontaktformular erfolgen. Die Einrichtung ist nicht barrierefrei

Ich stimme der Nutzung von Google Maps zu.